Früher…
In Europa gab es seit dem 13. Jahrhundert ein wachsendes Bedürfnis nach spirituellem Leben in klösterlicher Gemeinschaft, besonders unter Frauen. Da nicht alle in ein Kloster eintreten konnten oder wollten, um etwa die Festlegung durch ein lebenslanges Gelübde zu vermeiden, wurde es immer üblicher, dass alternative Formen religiöser Lebensgemeinschaften von Frauen entstanden. In Essen gab es sechs Konvente, die im 13. und 14. Jahrhundert von Fürstäbtissinnen gestiftet worden waren. Ursprünglich gaben die Konvente sich ihre ordensähnlichen Regeln selbst und ließen sie von der Äbtissin lediglich bestätigen. Später kam es aber auch vor, dass die mächtige Äbtissin einem Konvent neue Statuten gab. Die Beginen waren sehr bedeutend für das Glaubens- und Wirtschaftsleben in der Stadt. Sie waren erwerbstätig als Seidenweberinnen, Spinnerinnen, Wäscherinnen, sie bestellten Gemüsegärten, buken Brot und brauten Bier. Und für das soziale Gefüge vielleicht am wichtigsten: Sie versorgten und unterrichteten Kinder, sie sorgten für die medizinische und pflegerische Betreuung Kranker und Sterbender. In den Jahren nach der Säkularisation schlossen die Beginenkonvente in Essen sich zunächst zusammen und wurden später aufgelöst. Trotz Reformation, Aufklärung und Säkularisierung gab es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Beginen in Deutschland. Die letzte Begine der alten Tradition starb am 14.4.2013 in Kortrijk in den Niederlanden.
Und dann…
In den letzten Jahrzehnten vereinten sich Frauen in ganz Deutschland um miteinander von der Beginentradition zu lernen. Der Wunsch wurde geboren, die zentralen Elemente des historischen Beginenlebens ins Heute zu übertragen. Aus zum Teil jahrelangem Verhandeln, Überlegen, Konzeptionieren, Träumen und Wünschen sind mittlerweile 18 Beginenhöfe entstanden. Im Essener Beginenhof in Rüttenscheid berichten die Gründerinnen oft von den zwölf langen Jahren, die es gedauert hat, bis in der Goethestraße die Hoftore geöffnet werden konnten. Seitdem sind wiederum 15 Jahre vergangen und viele Frauen haben ein lebendiges Miteinander geprägt. Kernelemente wie die, dass sich Beginen verschiedener Generationen unterstützen und begleiten, sie miteinander diskutieren und voneinander lernen, Verantwortung für den Stadtteil und darüber hinaus übernehmen, dialogisch Spiritualität leben sowie Leben und Arbeiten in einem Gebäude miteinander verbinden, sind gelebter Alltag.
Und im Beginen Hausprojekt?
Seit mehr als zwei Jahren bauen wir am Beginen Hausprojekt. Wir verstehen uns als Lebensgemeinschaft- bei uns geht es also nicht nur darum gemeinsam zu wohnen- sondern unserem gemeinsamen Alltag/Leben durch Engagement eine weiteren Aspekt hinzuzufügen. Es gibt immer wieder Fragen, die uns gestellt werden, die wir im nachfolgenden versuchen zu beantworten
FAQ zum Leben im Beginen Hausprojekt
Muss ich religiös/spirituell sein?
Nein, musst du nicht. Was es jedoch bei uns braucht ist eine Toleranz dafür, dass wir es zum Teil sind. In Beginenhöfen leben und arbeiten Frauen aller Glaubensrichtungen/ philosophischen Einstellungen, spirituelle Frauen, miteinander. So ist das auch bei uns. Unser Anliegen ist es, dass keine von den anderen „missioniert“ wird oder religiöse Vorstellungen auf sie projiziert werden, die nicht zu ihren eigenen Lebensvorstellungen passen. Ganz praktisch bedeutet dies, dass wir tolerant gegenüber Lebenseinstellungen sind, solange diese nicht die der anderen eingrenzen, abwerten oder verletzten.
Was sind eure Werte?
Der Kern unseres Projekts ist die Frage nach einem nachhaltigen Leben. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass unser wundervoller Planet noch ein paar Jahre mehr als aktuelle Prognosen es beziffern von Menschen belebt wird. Auch hier gilt: ob du ein solches Engagement aus Liebe zur Natur, aus der Idee der Schöpfungsbewahrung, als Karma-Yoga, oder als humanistische Selbstverständlichkeit siehst, das ist ganz dir überlassen 🙂 Uns ist es wichtig, gemeinsam an einer Welt, wie sie uns gefällt zu bauen. Dafür gehen wir immer wieder miteinander in die Diskussion und hinterfragen uns und unser Handeln.
Warum sind bei euch keine Männer?
Für viele ist diese Frage wichtiger als alles andere- warum auch immer. Die Antwort überrascht auch oft- bestimmt weil viele denken, dass wir wie im „Kloster“ leben (wahrscheinlich ohne jemals in einem gewesen zu sein :-)). Bei uns sind Männer sehr herzlich willkommen. Unser Projekt existiert auch durch die Hilfe und den Einsatz von Männern: Väter, Brüder, Schwäger, Nachbarn, Freunde, Unterstützer. Männer können bei uns Angebote machen, selbstverständlich zu Besuch kommen, auch bei uns unterkommen z.B. in unserer Pilgerherberge. Männer können nur nicht langfristig bei uns wohnen. Wir beziehen uns auf eine Tradition, die Frauen in allen Belangen des Lebens und Engagements in den Mittelpunkt stellt. Wir sind Gründerinnen, Vorständinnen, Initiatorinnen und vieles mehr. Wir bieten uns gegenseitig einen Raum und Schutz. Und selbstverständlich reflektieren wir auch immer wieder miteinander ob es noch so passt, wie wir leben. Uns fehlt es an nichts ohne Mann im Haus 🙂 Gleichzeitig sind wir dankbar, dass es tolle Männer in unserem Leben und unserem Engagement- und Veranstaltungsort gibt!
Seid ihr alle Single/Lebt ihr alle im Zölibat?
Die Frage nach dem Zölibat ist eine sehr gerne gestellte. Erstmal: Beginen sind keine Nonnen. Es gibt Beginen, die Versprechen ablegen. In unserem Projekt ist es keine Praxis, dass wir uns selbst oder den anderen irgendwas versprechen müssen. Auch sind wir ein Ort an dem es nicht hinterfragt wird, wenn Frauen keine romantischen Beziehungen haben (wollen). „Single“ sein wird nicht als etwas unvollständiges gesehen, sondern eine gleichberechtigte Möglichkeit zu leben. Wir sehen unsere Form des gemeinschaftlichen Lebens als gleichberechtigt zu Paarbeziehungen. Schon immer hat es Frauen gegeben, die kein Interesse daran hatten in romantischen Beziehungen zu leben. Mit „Gleichberechtigung“ wollen wir auch sagen, dass wir selbstverständlich auch genauso Konflikte und „Beziehungsprobleme“ untereinander haben. Gleichzeitig gibt es in modernen Beginenhöfen sehr diverse Beziehungsformen. Ja, es gibt auch Frauen die in Beziehungen mit Männern sind und sich nicht vorstellen können jemals zusammen zu leben. Dies ist nur ein Beispiel. Für uns ist das Wichtigste, dass die Frauen, die mit uns leben, zu uns passen. Dazu gehört es dass die individuelle Lebensweise jeder einzelnen akzeptiert wird, solange diese nicht gegen unsere Werte verstößt- ehrlicherweise ist dies bisher noch nie aufgrund einer Beziehungsform gewesen.
Können auch Frauen mit Kind/ern einziehen?
Ja, wir verstehen uns als Mehrgenerationen- Frauen- Wohnprojekt und es ist möglich, dass auch Frauen mit Kind/ern (egal welchen Geschlechts/Genders) bei uns einziehen. In der Gründungsphase haben wir mehrere Frauen mit Kind kennengelernt, die es sich aufgrund der Lage nicht vorstellen konnten bei uns zu wohnen. Es ist ein ganzes Stückchen bis zum Kindergarten/Grundschule und „Nachbarskinder“ sind eher ein Stück um die Ecke als vor der Tür. Es gibt auch Beginenhöfe in denen Mitbeginen alleinerziehende Mamas unterstützen/Care-Arbeit übernehmen. Da wir alle arbeiten ist dies bei uns nur sehr bedingt möglich. Trotzdem gilt auch hier: wenn eine Frau mit Kind zu uns passt, gibt es keinen Grund warum wir nicht zusammen leben sollten.
Zahlt ihr eigentlich Miete?
Wir werden immer wieder gefragt, ob wir eigentlich Miete zahlen. Ja, wir sind Mieterinnen und zahlen ganz normal monatlich unsere Miete.
Ist bei euch jemand angestellt?
Nein, wir bekommen kein Geld für alles das, was wir bei uns machen und umsetzen. Die organisatorische Arbeit zur Realisierung des Projekts lag in den ersten zwei Jahren bei etwa 30 Stunden pro Woche, die wir vollständig im Ehrenamt realisiert haben. Wir machen eigentlich alles selbst: diese Webseite, die Veranstaltungsorga, Fördermittelakquise, Bewerbung der Angebote auf diversen Plattformen, Buchhaltung usw. Wir schaffen all das, weil wir nicht alle Vollzeit und im Team arbeiten. Wenn bei uns Angebote mit Teilnahmebeitrag stattfinden, an denen wir teilnehmen möchten, zahlen wir diesen selbstverständlich auch (außer wir werden persönlich eingeladen). Anschaffungen, um Projekte zu realisieren, werden zum Teil aus unseren privaten Brieftaschen finanziert. Spenden (wir sind ja gemeinnützig anerkannt) werden zu 100 Prozent in das Projekt gesteckt. Wir schließen es theoretisch für die Zukunft nicht aus, dass wir größere Projekte konzipieren, für die eine/mehrere von uns Honorare/Anstellungen erhält/erhalten. Falls dies irgendwann mal so sein sollte, würden wir dies selbstverständlich kommunizieren, solange gilt: alles im Ehrenamt.
Muss ich mich engagieren, wenn ich bei euch wohne?
Wenn du ehrenamtliches Engagement in der Nachbarschaft, für die Gemeinschaft oder im Garten als lästige Pflicht empfindest, passt du nicht zu uns. Wenn du dich nicht fragst, ob du mit anpacken „musst“ sondern wo du dich einbringen kannst, freuen wir uns dich kennenzulernen. Insbesondere über unser Engagement unterscheiden wir uns von Wohngemeinschaften. Das was wir machen ist auch mal lästig und viel, aber vor allem macht es Spaß – wenn es uns allen keinen Spaß mehr macht, dann ändern wir es.
Weitere Fragen
Vielleicht hast du/haben Sie gerade immer noch Fragen zu den Beginen im Kopf? Fragen stellen ist sehr willkommen, zum Beispiel bei Besuchsterminen im Beginenhof in Rüttenscheid oder gerne auch an uns.
