Noch ein Sommer.

Liebe Nachbar:innen, Freund:innen und Interessierte an unserem Projekt.

Heute erlaube ich mir einen Eintrag, der ausschließlich meine Sicht auf unsere aktuelle Situation darstellt. Viele von Euch wissen es bereits: wir haben nach Bangen und Hoffen unseren Mietvertrag gekündigt. Das Beginen Hausprojekt am Priembergweg wird im Oktober Geschichte sein. Noch ein Sommer… Wir verarbeiten diesen Fakt gerade alle anders. Ich eben auf diesem Weg:

Ich war zarte 27 Jahre alt, als ich in den Essener Beginenhof zog – ohne zu wissen, was Beginen sind. Fast zehn Jahre sollte es dauern, bis ich mich diesem Begriff annäherte. Natürlich hatte ich in der Zwischenzeit über die historischen Beginen gelesen und aus meinem Alltag waren schnell eine Reihe von Frauen, die sich bewusst (nicht) Beginen nannten, nicht mehr weg zu denken. Mit „annähern“ meine ich jedoch etwas anderes: mich selbst in dieser Bezeichnung wiederzufinden.

November 2020, welche Lockdown Regelung gerade galt, erinnere ich nicht mehr. Was ich jedoch nie vergessen werde, ist die Email, in der dem Beginen Dachverband ein weiteres Haus in Essen für einen Beginenhof angeboten wurde. Völlig begeistert bin ich nach dem Lesen rüber zu Stéphanie gerannt, um ihr zu sagen, dass das unser Ort werden würde. Da war ich mir sicher.

Endlich! Da war sie, die große Chance ein eigenes Projekt zu starten!

Ich habe sehr gerne im Beginenhof gewohnt, doch waren als ich einzog die Strukturen bereits gesetzt – nach bemerkenswerten 12 Jahren der Suche nach einem Haus hatten Frauen, wie ich, die erst nach Gründung dazugestoßen sind selbstverständlich eine andere Rolle als die Gründerinnen. Ein Wohnprojekt selbst gestalten zu können, entsprach einem Wunsch, den ich schon seit meiner Jugend mit mir herumgetragen habe. Ich weiß nicht, ob es Naivität, die Auswirkungen des Lockdowns, Vertrauen ins Leben oder die schier endlose Begeisterung für den Ort waren, die mich über manche Aspekte haben nicht weiter nachdenken lassen.

„Schicksal“ oder „folgenschwerer Fehler“- die Bewertung hing in den letzten Wochen von der Tagesform ab.

Über 100 Bewerbungen auf 4 Zimmer, im Lockdown war gemeinschaftliches Wohnen wie heiße Brötchen am Sonntagmorgen. Das es nicht mit allen passte und selbst Teambuilding und externe Organisationsentwicklung nicht half: das hatte alles seine Berechtigung und gehört zur Geschichte dazu. Aus diesen Versuchen habe ich sehr viel gelernt. Vor allem: bei uns sind alle herzlich willkommen aber nicht zu allen passt diese Lebensform. Dieses „(nicht) Begine sein“.

„Da ist meine lieblings Begine!“, hat einer unserer Nachbarn am Priembergweg mir mal entgegen gerufen. Ich habe mich schmunzelnd bedankt, gar nicht weil ich mich etwa über die Besonderung gefreut hätte, sondern weil er mich mit einer Bezeichnung ansprach, die in der Zwischenzeit ein wohlig warmes Gefühl in mir auslöste. Und nicht nur das: über die vielfältigen Veranstaltungen und Mitmach- Möglichkeiten bei uns hatten wir es geschafft im Stadtteil wahr- und ernstgenommen zu werden. Unser Engagement sprach für sich und ja, es hatte einen Namen.

Nach weiteren Erfahrungen wie andauerndem Schimmel (mit Effekten, die ich bisher nicht kannte, z.B. Milben) im Esszimmer, Kündigungen und mehrfachen Absagen zum Mitwohnen aufgrund des Zustandes des Hauses und der Befristung des Mietverhältnisses, wurde nach und nach immer klarer, dass wir so keine Zukunft haben. Ein Beginenprojekt in das Frauen aus Neugierde und Begeisterung einziehen, braucht einen festen (und wohl auch trockenen) Grund. Lebensgemeinschaften brauchen etwas fürs Leben, nicht mit Befristung. Habe ich das bei Unterzeichnung des Vertrags gewusst? Nein. Ein Fehler wäre es erst, wenn man es nochmal genauso machen würde. Für das neue Wissen bin ich dankbar- so ist das Leben außerhalb von Schablonen eben: es beruht auf eigenen Erfahrungen.

Gespräche mit Nachbar:innen und Freund:innen über die Situation haben mich darin bestätigt unseren Vermieter zumindest zu fragen, ob wir das Haus kaufen und sanieren können. Ich glaube, dass ich mich noch nie so mutig gefühlt habe. Ein „Ja“ wäre einem Wunder gleichgekommen. Ich weiß nicht, wie oft ich unsere E-Mails aufgemacht habe in der Hoffnung, dass es im Eingang liegt. Eine unserer Mitbeginen aus Rü (die sich übrigens nicht Begine nennt) hat im Prozess zu mir gesagt: „Mach keine Kategorien auf! Alle reagieren so, wie sie können.“ Dieser Ratschlag hilft mir sehr in der Dankbarkeit zu bleiben für drei tolle Jahre am Priembergweg. Es wird eins der prägendsten Projekte meines Lebens bleiben. Ich bleibe auch in der Zuversicht, dass das Leben es gut mit uns meint- das Wunder kommt bestimmt noch, dann eben woanders.

Mein größter Dank gilt den Menschen um uns herum, die es so gut mit uns meinen. Danke für die unfassbar solidarischen Gespräche, für alle Unterstützung, für jedes tröstende Wort, für jede Träne, die wir zusammen weinen, um zu betrauern, dass es mit dem Beginen Hausprojekt am Priembergweg zu Ende geht. Danke, dass es Euch etwas bedeutet, was wir hier auf die Beine gestellt haben. Ich werde Euch alle nie vergessen, ihr habt dieses Abenteuer zu etwas ganz Besonderem gemacht. Wir verlieren kein Vereinsheim sondern unser Zuhause, das mir vor allem aufgrund der großartigen Nachbarschaft fehlen wird. Bitte hofft weiter mit uns, dass wir einen Ort finden, an dem wir wieder bunte Ideen umsetzen können. Am liebsten nach einer Pause zum Verschnaufen und Ankommen. Sich Willkommen fühlen, das wäre gut für mein Herz.

In den letzten Jahren hatten wir immer mal wieder Besuch aus dem Ausland. Unter anderem Laura Swan, Benediktinerschwester und Autorin von „Die Weisheit der Beginen“, die vom Dachverband zur internationalen Tagung eingeladen wurde. In ihrem Vortrag über die Spiritualität der Beginen sagte sie, dass auf unsere Bewegung schon immer der „divine sparkle”, der „göttliche Funke“, gelegen hat. Selten hat mich eine Aussage so ganzheitlich angesprochen. Ich war und bin davon sehr berührt. Die Nähe, die ich dadurch zu Frauen, die sich für ein anderes Leben auf den Weg gemacht haben und das über so viele Generationen, spüre, gibt mir den Mut weiterzumachen. Auch wenn ich unfassbar traurig bin. Was ich sicher weiß ist, dass ich das Haus, das wir mal besitzen werden, in Liebe an engagierte Frauen, die nach uns kommen weitergeben werde. Ganz gleich ob sie sich „Beginen“ nennen oder nicht.

Vielleicht fragt ihr Euch, wie ihr uns unterstützen könnt?!

  • Wir werden unser Programm bis Ende September aufrechterhalten. Kommt vorbei, lacht und weint mit uns. Zum Abschluss planen wir ein Sommerfest am 25.08. und ein Abschiedskonzert mit der Band „Open Door“ von unserem Nachbarn Uli und seinen Freunden am 07.09. Wir würden uns soooo freuen euch alle nochmal zu sehen. Lasst uns feiern, was wir zusammen alles in drei Jahren geschafft haben. Apropos: wir haben eine Gruppe gegründet, die sich auf den Weg macht ein Stadtteilcafé für Kupferdreh zu planen. Meldet Euch bei Interesse!
  • Wir suchen nach einem neuen Ort. Alles über unsere Suche findet ihr hier. Bitte streut unser Gesuch und helft uns unseren Traumort zu finden- das wäre super.
  • Wir müssen einen ganzen Vereinsbetrieb umziehen und brauchen mit Sicherheit helfende Hände. Wir werden nochmal gezielt anfragen, wenn es so weit ist. Vielleicht weißt du jetzt schon, dass du uns helfen kannst und wirst: melde dich gerne!

Ein paar Mal werde ich sicherlich noch an dieser Stelle vom Priembergweg grüßen- mal schauen von wo aus danach.

Frohe Ostern!

Herzliche Grüße

Kathrin Hölscher